Führungs-Mythen

Mythos Nr. 1

„Arbeit muss hart sein!“

 

Wann fühltest du dich eigentlich zuletzt so richtig produktiv? Und was war der letzte große Erfolg im Job, den du dir wirklich gegönnt hast? Lass mich raten: das waren Tätigkeiten, die so richtig stressig, extrem herausfordernd und kräftezehrend waren? Falls ich damit ins Schwarze getroffen haben sollte, liegt das sicher nicht an meinen hellseherischen Fähigkeiten. 

Es liegt daran, dass wir (besonders in Deutschland) so sozialisiert sind, dass Arbeit hart sein muss. Sie muss uns extrem fordern, sie benötigt unsere ganze Kraft, und sie zehrt uns aus. Wem das nun ein bisschen überzogen daherkommt, der darf sich gerne einmal an die vielen Redewendungen erinnern, mit denen er oder sie aufgewachsen ist:

„Ohne Fleiß kein Preis“

„Nur die Harten kommen in den Garten“

„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“

„Qualität kommt von Qual“

„Jetzt beginnt der Ernst des Lebens“ … usw. usw.

 

Viele von uns sind mit diesen Geisteshaltungen gegenüber Arbeit und Berufstätigkeit groß geworden. Ich selbst stamme  aus einer Arbeiterfamilie, mein Großvater hat im 2. Weltkrieg gedient, mein Vater nahm über 30 Jahre eine Pendelstrecke von etwa drei Stunden täglich auf sich, um zur Arbeit zu fahren. Meine Mutter arbeitete (so lange ich sie kenne) in Jobs, die sie hasste. Sie signalisierte jeden Tag, wie es sie quälte und wie ungern sie arbeiten ging. Summa summarum: ich habe nie erlebt, dass bei uns zu Hause positiv über die Arbeit oder den eigenen Beruf gesprochen wurde. Arbeit war „Broterwerb“, „Bürgerpflicht“ oder „eine Plackerei“. Eins war es aber ganz sicher nicht: Spaß. 

In meiner Familie hatte dies v.a. damit zu tun, dass keine entsprechenden Bildungsabschlüsse oder Motive vorlagen, um anderen Tätigkeiten nachzugehen. Meine Großeltern kannten allesamt nur die schwere, körperliche Arbeit. Wenn man keine Chance für sich sieht, einem anderen Job nachzugehen, dann ist es nachvollziehbar, dass sich das Konzept „Arbeit ist ein notwendiges Übel“ herausbildet.

Dem gegenüber existieren aber auch andere, toxische Grundüberzeugungen, nämlich solche, die geistige oder künstlerische Arbeit stark abwerten. 

Vielleicht ist die eine oder andere auch schon einmal mit solchen Überzeugungen in Kontakt gekommen. Intellektuelle oder Künstler:innen werden dann gerne einmal als „Traumtänzer“ oder „Nichtsnutze“ verschrien. Hintergrund ist, dass sie in den Augen der körperlich Arbeitenden keine „richtige“ Arbeit leisten. Frei nach dem Motto „Wozu brauchen wir Mathematiker:innen oder Museumsdirektionen – die sollen sich mal um die ECHTEN Probleme kümmern!“ Als Psychologin war ich schon häufiger solchen Kommentaren ausgesetzt.


Führungskräfte, die stark in der o.g. Sozialisation geprägt sind, geraten in ihrer Karriere nicht selten an ihre Grenzen. Das hat gleich mehrere Gründe: zum einen beginnen sie fleißig zu schuften, sobald sie ins Berufsleben eintreten. Da sie dem inneren Kompass folgen, der da heißt „Nur die Fleißigen steigen auf“, tun sie dies auch in ihrer späteren Führungskarriere so. Das Gefühl, produktiv zu sein, entsteht lediglich dann, wenn viel und lang gearbeitet wird. Für viele ist der anschließende Konsum auch nur so zu ertragen! („Den Wagen darf ich mir nur gönnen, weil ich so hart dafür gearbeitet habe!“). Ein Teufelskreis also – es wird geschuftet, um zu konsumieren, und weil konsumiert wird, muss wieder geschuftet werden. 

Zum anderen aber bekommen Führende auch dann ein Problem, wenn Arbeit „zu leicht“ ist! Man will es kaum glauben, aber es ist die Realität. Besonders Führungsfrauen (ich gehörte selbst auch dazu) leiden unter einem knackigen Hochstapler-Selbstkonzept. Wenn du dem Glaubenssatz „Arbeit muss hart sein“ folgst, dann fühlt sich leichte Arbeit einfach nicht nach Arbeit an. Und Gott bewahre, wenn sie auch noch Spaß gemacht hat! Als Psychologin darf ich kühn und frech behaupten: wenn bei der Arbeit die Leichtigkeit anfängt, dann hört bei vielen Frauen der Spaß auf. 

Wir stoßen dabei also an eine innere, unsichtbare Grenze aus starren und mächtigen Glaubenssätzen, die bei uns nur durch die Gefühle in Erscheinung treten, die sie auslösen. 

Da niemand gerne als „faul“, „unnütz“ oder „hochstaplerisch“ wahrgenommen werden möchte (schon gar nicht von sich selbst), entwickeln wir Strategien, um diese negativen Gefühle nicht aufkommen zu lassen. Wir schuften Tag und Nacht, wir setzen uns in zahlreiche Arbeitsgruppen, Kommissionen oder Beiräte, wir übernehmen Zusatzaufgaben, wir terminieren uns extrem eng… Und all das tun wir, um möglichst gestresst zu sein. Denn Herzinfarkt und Burnout galten noch in der Generation unserer Väter als Statussymbol des leistungsstarken Mannes.


Auch auf die Gefahr hin, dass das für dich nun zu viel des Guten ist: Arbeit darf leicht sein! Arbeit darf sogar Spaß machen, und dir leicht von der Hand gehen! Du darfst Erfolge feiern, selbst wenn du nicht hart dafür schuften musstest! Härte, Stress und Doppelschichten sind kein Qualitätsmerkmal!   


Nun ist es aber nicht so leicht, diese alten Mythen, Glaubenssätze und Gefühle aus unserem Geist zu verbannen. Du hast nun gelesen, dass Arbeit auch leicht sein darf, es fühlt sich aber vielleicht noch immer so an, als müsstest du permanent Gas geben. Das liegt daran, dass Verhalten und Überzeugung momentan (noch) nicht zusammenpassen. Es verhält sich ähnlich wie mit Ängsten: wenn ich der Überzeugung bin, der Labrador der Nachbarin tötet mich, dann werde ich im Verhalten nicht auf das treue Tier zugehen. Wir können nun von zwei Richtungen angreifen – indem wir kontraintuitiv handeln, oder indem wir unsere Überzeugungen reflektieren. In Therapie und Beratung stellt sich heraus, dass es sinnvoll ist, beides zu kombinieren. Indem wir unsere Glaubenssätze und Verhaltensregeln überdenken, stellt sich auch meist mehr Zuversicht für neue Verhaltensweisen ein. Ein großer Schritt ist bereits dann getan, wenn du dir diesen Mythos und die zugehörigen Gedanken bewusstmachst. Denn gerade große, breite Überzeugungen (wie zur Arbeit, zum Mutter-sein etc.) bilden sich extrem früh in unserer Sozialisation und sind uns kaum bis gar nicht bewusst. Sie haben, wie bereits beschrieben, sehr viel mit Rollenmodellen in der Kindheit zu tun.  

Um von der Bewusstheit zu funktionaleren Glaubenssätzen zu kommen, habe ich dir ein paar Reflexionsübungen mitgebracht, die du gerne durchführen darfst, wenn dieser Mythos für dich in einer belastenden Art und Weise wirkt.

 

Reflexion 1  Überlege, welche Tätigkeiten dir schon als Kind/Jugendliche äußerst leicht von der Hand gegangen sind!? Gibt es vielleicht Leute, die dich sogar darum beneiden?

 

 

 

 

Reflexion 2   Was denkst du über Menschen, die Spaß an ihrer Arbeit haben? Wie merkst Du überhaupt, dass sie Freude haben, oder dass ihnen die Arbeit leichtfällt?

 

 

 

 

 

Reflexion 3   Welche Vorteile (welchen pos. Nutzen) haben deine Hochleistungs-Verhaltensweisen für dich (z.B. keine Pausen machen, viele Termine, an deine Grenzen gehen…)?

 

 

 

 

 

Ziel der Übungen ist zum einen, dass du dich darauf zurückbesinnst, was du ohne Mühe und mit Freude tun kannst, und zwar schon dein Leben lang. 

Wenn du dir dessen bewusstwirst, wird es dich weniger verwundern, dass dir diese Tätigkeiten auch heute noch leichtfallen. 

Es ist an dieser Stelle sehr wichtig, dass du dir diese Fertigkeiten und Fähigkeiten als solche anerkennst und sie entsprechend würdigst! Denn wir sind oft der Meinung, diese Skills gehörten einfach „zu unserem Grundrauschen“ dazu. Das ist ein kognitiver Fehler! Nur, weil dir gewisse Aufgaben leichtfallen, ist das noch lange nicht verwerflich. Im Gegenteil. Wenn du in deinem heutigen Job (auch als Führungskraft) viele Tätigkeiten locker erledigen kannst, dann hast du vermutlich eine gute Wahl getroffen.


Die Reflexionen gehen aber auch noch einen Schritt weiter und führen dich zu deinen ureigenen Konzepten und Motiven. Die Übung Nr.2 ist hilfreich, um zu überprüfen, ob du selbst vielleicht heimliche, abwertende Gedanken über leichte Arbeit generierst. Sie bringt dich aber gleichzeitig damit in Kontakt, dass Leichtigkeit und Freude auch in unsere Umwelt abstrahlt. Vielleicht hast du selbst schon einmal in Teams hineingeschaut, die von wenig Spaß und Arbeitsfreude gekennzeichnet waren. Als Außenstehende kann man diese „harte Arbeitsmoral“ fast spüren. 

Gerade als Führungskraft sollten wir auch unsere Vorbildwirkung nicht außer Acht lassen. Du kannst in der Folge darüber nachdenken, ob du an einer solch verbissenen „Work-is-hard-Kultur“ festhalten und deine Umwelt entsprechend mitprägen möchtest.  In der Reflexion Nr.3 frage ich dich nach den Vorteilen deines Handelns. Das mag zunächst absurd klingen (wo es doch um ein „Problemverhalten“ geht, dass du gerne loswerden möchtest), doch wir führen ein Verhalten immer deshalb aus, weil es für uns einen Sinn hat. In der Verhaltenstherapie sagen wir auch „C+“ dazu. Es gibt (immer!) eine positive Konsequenz – sonst würdest du es nicht tun. Ich wünsche dir, dass du dich näher mit deiner „C+“ befasst, damit du Möglichkeiten finden kannst, um auf anderen Wegen zu diesen Konsequenzen oder Vorteilen zu kommen. Das harte Schuften ist nämlich nur in deiner Psyche der einzige Weg!


Wenn wir an Glaubenssätzen festhalten, die uns eigentlich ruinieren können, dann funktionieren diese Glaubenssätze immer in derselben Weise: sie liefern unseren Bedürfnissen „Nachschub“. Wir sind z.B. auf der Suche nach Anerkennung, Bewunderung oder Wertschätzung, und wenn wir fleißig schuften, schütten wir damit Wasser auf die Mühlen. Aus diesem Grund ist es so wichtig, dass du dir darüber im Klaren bist, wofür du das Ganze tust. Denn erst dann kannst du danach Ausschau halten, ob es andere Möglichkeiten gibt, sich das Wasser zu beschaffen. Im besten Falle bist du irgendwann selbst dazu in der Lage, dir (auch einfache) Leistungen anzuerkennen, dich dafür wertzuschätzen oder dich sogar für etwas zu bewundern.